Das bekannte Grab des Bürgerkriegshelden
Am 15. November 1847 wurde Johannes Staub, der Held aus Thalwil, mit allen militärischen Ehren in seiner Heimatgemeinde zu Grabe getragen. Sein Leben verlor er in der Schlacht bei Lunnern im Säuliamt/Knonaueramt als er im Kampf gegen die konservativen, katholischen Kantone aus der Zentralschweiz gekämpft hatte. Staub war ein Held der liberalen Kräfte. Unter der Führung ihres Befehlshabers General Dufour besiegten sie die aufständischen reaktionären Truppen der Innerschweiz noch im gleichen Monat und beendeten damit den Sonderbundkrieg.
Der Sieg der liberalen über die konservativen, katholischen Kräfte bedeutete das Ende des letzten Bürgerkrieges in der Schweiz, den Niedergang der alten Ordnung der Eidgenossenschaft und machten den Weg frei für die neue Verfassung und die Gründung des modernen Bundesstaates Schweiz im Jahre 1848.
Text: Urs Amstutz
Quelle: Chronik der Gemeinde Thalwil; Mehr: LINK
Vor gut 100 Jahren wirkte die Sängerin und Schauspielerin, Hermine Schumowska am Stadttheater Zürich, damals eine private Institution. Die Künstlerin aus Wien sang und spielte in Zürich und Thalwil, wo sie bei ihrem Mäzen und Gönner wohnhaft war und mit ihren Künsten Leben und Kultur in die Seegemeinde brachte.
Ein musikalischer Schattenwurf
Den Grundstein der traditionellen Chorkultur legte der Sängerpfarrer, Jakob Sprüngli (1801 – 1889) mit der Gründung diverser Gesangsvereine im In- und Ausland. Auch in seiner Gemeinde Thalwil, wo er als Pfarrer amtete, gründete er zur Bereicherung des Gottesdienstes einen Sängerchor.
Um das Chorsingen und eine sinnvolle Tätigkeit der Textilarbeiter des Unternehmens der Familie Schwarzenbach zu fördern, sorgte die Firma Jahre später dafür, indem sie für den Männerchor genügend aktive Sänger rekrutierte. So lautete das ungeschriebene Gesetz des Patrons für alle Arbeiter und Angestellten, in diesem Chor mitzusingen. Sicherlich erleichterte der legendäre Charme der damaligen Chorleiterin Hermine Schumowska den Männern diesem verordneten Hobby nachzugehen.
Neben ihrem Engagement am Schauspielhaus in Zürich unterhielt die Künstlerin die vornehme Gesellschaft der Unternehmerfamilien mit Lesungen und Gesang. Das Fräulein Hermine Schumowska, wie sie von ihren Bewunderern genannt wurde, durfte im Haus der Schwarzenbachs an der Gotthardstrasse ein und ausgehen.
Dokumente, die dies belegen und das intime Verhältnis der Künstlerin zur Familie Schwarzenbach festhalten waren einst im Ortsmuseum archiviert. Inzwischen sind sie jedoch unauffindbar und gelten als verschwunden.
Traditionell geleitete und geführte Männerchöre haben heutzutage grosse Schwierigkeiten, aktive Sänger für ihren Verein zu gewinnen. Bis 2017 gelang es in Thalwil mit einer attraktiven Dirigentin, erfolgreich einen grossen Männerchor zu formieren. Hochmotiviert reiste der Sängerverein von Konzert zu Konzert, füllte Säle und Kirchen und begeisterte ein grosses Publikum. Wie sich aber in den letzten Jahren zeigte, birgt diese verführerische Strategie auch Gefahren. Mit der Zeit waren sich Präsident und Chorleiterin mehr und mehr uneins, was zu ausserordentlichen Generalversammlungen mit emotional geführten Diskussion führte und schliesslich mit einem unversöhnlichen Rücktritt endete.
Text: Urs Amstutz
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Am 16. August 1958 erfolgt die Eröffnung des Stadion Letzigrund. Elf mit Helium prallgefüllte Ballone stehen zur angekündigten Wettfahrt bereit. Der Ballon «Spelterini» des legendären Piloten und Aeronauten, Fred Dolder, ist mit von der Partie. Kurz nach dem Start treibt ein mässiger Nordwestwind die imposanten Luftgefährte über den Wohnort des bekannten Piloten aus Thalwil den Alpen entgegen.
Aeronaut Fred Dolder hebt ab
Fred Dolder (8. Juni 1898 - 3. Juni 1988), der legendäre Aeronaut und Hotelier aus Thalwil hat schon manchen Ballon durch die Winde zum Sieg geführt. Er ist hauptsächlich durch seine Alpenfahrten anlässlich der alljährlich durchgeführten Hochalpinen Dolder Ballonwochen in Mürren bekannt (50 Alpenüberquerungen) geworden. Mit seinen Ballonposten hat er für die Pestalozzi Kinderdörfer mehrere Millionen Franken
Nach einer missglückten Operation verstarb Konrad Farner, am 10. April 1974 im Alter von 70 Jahren. Der seit 1950 in Thalwil wohnhafte Verlagslektor, freie Schriftsteller, bedeutende Kunsthistoriker und -theoretiker wurde als bekennender Kommunist während des kalten Kriegs zur Zielscheibe des Antikommunismus und zum Sündenbock des Bürgertums. Ein Rehabilitierungsversuch der 68er Studentenbewegung scheiterte am Widerstand der Uni-Professoren.
Tod des Thalwiler Kunsthistorikers und Essayisten Konrad Farner
Geboren am 11. Juli 1903 in Luzern als Nachkomme einer alten Zürcher Familie, hatte Konrad Farner an den Universitäten Frankfurt, Köln und Basel studiert, war befreundet mit Karl Barth, Bertolt Brecht und Georg Lukács und galt als einer der besten Kenner der Werke von Marx, Lenin und Mao Tse-tung.
Schon als Student war er 1921 auch der eben gegründeten Kommunistischen Partei der Schweiz beigetreten. Sein wichtigster Lehrmeister sei ein einfacher Luzerner Arbeiter namens Ulrich gewesen, der den Gymnasiasten aus gutbürgerlichem Haus mit plausiblen Argumenten und vorgelebtem Beispiel überzeugt hatte, dass nur der Kommunismus die durch den Ersten Weltkrieg drastisch verschärften sozialen Probleme lösen könne.
Konrad Farner entwickelte sich aber nicht zu einem Theoretiker des Marxismus, sondern zu einem Vermittler zwischen dieser Lehre und dem Christentum.
1969 publizierte Konrad Farner sein Schlüsselwerk «Theologie des Kommunismus?». Darin formulierte er, dass die Idee des Marxismus schon in der Urkirche tief ins Christentum eingebettet sei. Nachdem sie «achtzehn Jahrhunderte lang alle revolutionären Chancen nicht nur verpasst, sondern unterdrückt, verfolgt und verfemt» hätten, sei den Christen angesichts des Kommunismus nun eine «letzte weltgeschichtliche Möglichkeit» geschenkt, «progressiver Teil der Zukunft zu werden», während umgekehrt der Marxismus
sich die «Freiheit des Christenmenschen» zu eigen machen müsse. Obwohl er als Kunsthistoriker- und Grafikexperte im Ausland eine Kapazität war, fand Konrad Farner in der Schweiz zeitlebens weder eine Stelle, ein Amt noch Anerkennung.
Er wurde nach 1945 zum Sündenbock der Bürgerlichen und zur Zielscheibe des Antikommunismus.
Als er 1970 aus der PdA (Partei der Arbeit) ausgetreten war und sich dem Maoismus zugewandt hatte, brachte die studentische Linke Konrad Farner ins Gespräch. Die Basler Studenten wollten ihm zu einem Lehrstuhl verhelfen, in Zürich gelang es kurz, für den Neunundsechzigjährigen einen befristeten Lehrauftrag zu erwirken.
Konrad Farner war alles andere als ein verbissener Verfechter von inzwischen fragwürdig gewordenen Ideologien. Er war mit der Kunst der Welt intim vertraut, galt als eleganter Bonvivant und charmanter Geniesser. In den letzten drei Lebensjahren verband ihn eine leidenschaftliche Liebesgeschichte mit Christoph Blochers Schwester Judith Blocher.
Am 10. April 1974 starb Konrad Farner im Alter von 70 Jahren.
Nachttrag: Bis heute bleibt er verkannt und Rehabilitationsversuche sind misslungen.
> vgl. Flucht des Kunsthistorikers
Quelle: Charles Linsmayer, Publizist; mehr: LINK
Bis zu seinem Tod 2006 lebte der Unternehmer, ehemaliger Verleger des Thalwiler Anzeigers und Gründer der Stiftung Hans F. Tellenbach in seiner Villa hoch über dem Zürichsee. Er war eine schillernde Persönlichkeit, neben seiner Leidenschaft zur Musik sammelte er Kunstwerke. Hinter den Mauern der Villa „Tellenbach“ häufte sich seine wertvolle Sammlung zu einem umfassenden Museum an. Gäste, die dort verkehrten, erzählten von unzähligen wertvollen Bildern und Kunstgegenständen. Wichtige Vertreter der im- und expressionistischen Epoche, wie Picasso und Matisse wurden genannt. Auch bedeutende Skulpturen aus Afrika und Asien. In der Garage der geheimnisumgarnten Villa sammelte der grosse Autofan Sportwagen und Oldtimer.
Kommunaler Medien-Zar mit schillernedem Hintergrund
Kurz vor dem 1. Weltkrieg übernahm der Verleger Dr. Fritz Tellenbach den «Thalwiler Anzeiger». Dort wurden lokale Meldungen, Inserate, Todesanzeigen, Reklamationen und Printwaren aller Art gedruckt. Bis heute ist er offizielles, amtliches Publikationsblatt der Gemeinden Thalwil, Kilchberg, Rüschlikon und Oberrieden. Dieses ausschliessliche Monopol sicherte dem bürgerlichen Gemeinderat während Jahren die Kontrolle und Steuerung der politischen Informationen und Meinungsbildung. Dem Verleger waren einerseits regelmässige Einkünfte sicher, andererseits schaffte er eine Bindung an die herrschenden politischen Verhältnisse, was die Meinungsfreiheit einschränkte. Dieses Zusammenspiel von Politik und Medien liesse sich an einer Aufarbeitung des Falls ‚Konrad Farner’ wunderbar aufzeigen.
Das einmalige Privileg der kommunalen Printmedien wurde durch die globale Digitalisierung in den 00er Jahren durchbrochen und aufgeweicht. Mit der Möglichkeit neue und andere Informationsquellen und Kommunikationswege zu erschliessen, haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Alternativen erhalten, die ihnen zu demokratischen Rechten und Informationsversorgung verhalfen.
1911 erstellte die Verleger-Familie das Druckereigebäude und Villa „Tellenbach“ an der Gutenbergstrasse. Als Rentner stellte Hans F. Tellenbach den Druckereibetrieb ein. Die Publikationsrechte übertrug er der Tamedia AG. Nun eröffnete sich für den schillernden Junggesellen ein Lebensabschnitt, um sich intensiv seinen Hobbys zu widmen. Nach einem strengem Wochenplan beschäftigte er sich mit Jazz-Musik, komponierte und spielte Geige und Saxofon. 2006 wurde es dunkel in der Villa „Tellenbach“. Die Sammelstücke, die besagten wertvollen Schätze, sie sind nicht mehr vorhanden. Der Nachlass müsste, wie es die Stiftung „Tellenbach“ vorgesehen hat, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Waren das alles nur Fake-News, oder wurde der Nachlass verhökert?
Bis der Gestaltungsplan umgesetzt wird und das Denkmal der kommunalen Mediengeschichte und -Politik verschwindet, nutzen Thalwiler Künstler das Gebäude.
Text: Urs Amstutz
Quelle: Ortsmuseum Thalwil; Mehr: LINK
Der Pavian provozierte sein Herrchen Fred Engelbert Knecht und sein tierischer Mitbewohner, ein Ozelot, ganz gern. Dem Herrchen sprang er auf die Schulter und der Wildkatze zupfte er einmal so kräftig am Schwanz, dass das Raubtier erschrocken zubiss und dabei den Finger eines Kunden von Fred Engelbert Knecht erwischte. Die Attacke war so heftig, dass der Finger des Bildkäufers fast abfiel. Mit Blaulicht wurde er zur Notaufnahme gebracht. Nach diesem Vorfall musste diese surreale und unberechenbare Wohngemeinschaft aufgelöst werden. Die beiden Tiere kamen in einen Zoo.
Ein Ozelot, ein Affe und der Künstler mit dem Papiersack
Fred Engelbert Knecht, Kunstmaler, Zeichner und Galerist, pendelte täglich von seinem Wohnort an der Mühlebachstrasse in Thalwil nach Zürich zu seiner Galerie 16a. Über die Bahnhof-Passerelle eilend erkannte man den kraushaarigen, bärtigen Künstler Fredy, wie ihn seine Freunde nannten, bereits von weitem.
Immer wieder zog es ihn in die Welt hinaus. Er reiste viel und erzählte gerne von seinen Abenteuern. Auf einer Reise mit dem Velo durch den Dschungel Süd- und Mittelamerikas besuchte er Indianer. Als sie einen gefangenen Ozelot opfern wollten, packte
Fredy die Raubkatze, versteckte sie in einer Sporttasche und schmuggelte sie per Handgepäck im Flugzeug in die Schweiz.
Fred Engelbert Knecht, die kleine, flinke Gestalt, begleitet auf seinen Gängen vom kleinen, weissen Hündchen ‚Pommery’, fiel mit seinen bunten Hawaii-Hemden und dem Papiersack in der Hand auf. So bleiben er und seine farbigen, surrealen Bilder in Erinnerung. Fredy starb am 5. Mai 2011.
Text: Urs Amstutz
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Während die 68er Jugend gegen den Kapitalismus demonstriert und sich gegen sämtliche gesellschaftlichen und kirchlichen Institutionen, Traditionen, gegen Eltern und Familie auflehnt, sang Frau Hürlimann, eine ältere Frau aus Thalwil, inbrünstig und in jeder nur erdenklichen Lage Lobeslieder von Jesus Christus, dem Erlöser und Retter der Menschheit von allem Bösen.
Lobe den mächtigen König der Ehren...
„Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren....in alle Ewigkeit. Amen!“ So endet eine berühmte, geistliche Lobeshymne aus dem Mittelalter. Zu jeder Tageszeit und an jedem belebten Ort steht Frau Hürlimann, die Gotteskämpferin, und singt mit ihrer zittrigen Stimme von den christlichen Frohbotschaften. Mit ihrem Gesang verbreitet sie ihre Mission von besseren Zeiten mit Jesus, preist die gottesgläubige Welt und jubiliert unterstützt von den christlichen Heerscharen gegen den Unglauben und die Unsitten der Gesellschaft an, gegen Sex, Drogen und Rock’n Roll.
Jedes Mal, wenn sie ihr Wohnhaus gegenüber der Kantonspolizei verlässt, stellt sie sich zuerst an jede Hausecke und lobt den König der Christenheit mit einem Lied. Erst dann begibt sie sich auf den Weg ins Dorf oder in die Stadt. Dort trägt sie ihre Gottesbotschaften im Migros, COOP, in der Gotthardstrasse, auf der Passerelle, im Zug, Tram, Hauptbahnhof aber auch in der Bahnhofstrasse vor; überall, wo es sie überkommt.
Als Kind bin ich immer erschocken, wenn die grauhaarige Frau im hellbeigen Lodenmantel, mit dunklem Hut und einer
ledernen Handtasche am Arm plötzlich zu ihren Lobliedern angesetzt hat. Ein unheimliches Gefühl ist in mir aufgekommen und ich habe jeweils die Strassenseite gewechselt. Als ich älter geworden bin und als Jugendlicher haben sich meine Einstellung zu diesen Auftritten verändert und relativiert. Ich hatte mit dieser christlichen Missionarin Mitleid, aber auch Bewunderung für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit entwickelt. Heute denke ich, würde die Gesellschaft ihre gesungene Mission mit Psychopharmaka verstummen oder sie von der Strasse verschwinden lassen.
Eines Tages ist die eigenwillige Frau Hürlimann nicht mehr heimgekehrt. Es wurden Vermisstenanzeigen geschaltet und nach einigen Tagen wurde sie ganz verwirrt aufgefunden. Man hat sie in ein Heim gebracht, wo sie nach kurzer Zeit gestorben ist.
Einige Tage nach ihrem Tod hat sich ihr Mann mit seiner Ordonanzwaffe das Leben genommen.
Text: Urs Amstutz
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Fernand Rutters Negertaxi
Heute wäre das undenkbar, ein Aufschrei würde durch die Medien rasen, Anwälte würden bemüht, Politiker würden sich profilieren, ein Shitstorm würde die Social Media erschüttern,
die Schweiz würde Kopf stehen und der Europäische Gerichtshof würde tagen.
Damals war es einfach eine grossartige Marketing-Idee. Dort wo heute der Gnusspur-Laden ist, lag neben dem Trottoir früher der Taxistand von Herrn Fernand Rutter.
Er war schwarz. Der political correctness wegen, würde man ihn heute Afroschweizer nennen. In den sechziger- und siebziger Jahren ging man noch lockerer mit Bezeichnungen um. Auch Fernand Rutter selber. Nannte er doch sein Unternehmen offiziell Negertaxi und als Logo setzte er noch ein schwarzes Püppchen auf die Gelbe Taxi-Leuchte über dem Autodach.
Fernand sah ein wenig aus wie Louis Armstrong, hatte wie Satchmo eine volle Stimme und meistens einen coolen Hut auf. Auch seine Frau Ida, die Haare zu einem Dutt gebunden fuhr das Taxi. Aber, ich hoffe sie verzeiht mir, ihr Mann war der Taxistar von Thalwil. Ich habe von der grandiosen Marketing-Idee geschrieben. Ich glaube alle Kinder, die mit ihren Eltern unterwegs waren und ein Taxi benötigten, wollten doch mit dem N....taxi und Herrn Rutter in seinem dunkelblauen Amischlitten herumkutschiert werden.
PS. Fernand Sidonie Rutter starb am 13. April 2016, er wurde beinahe 90 Jahre alt.
Text: Helmi Sigg
Egolf, der Taumler
Alle nannten ihn nur nach seinem Nachnamen: Egolf und er war ein Verwandter unserer Nachbarn. Damals wohnten wir an der Berghaldenstrasse #10. Anfangs der 60er war sie noch nicht durchgehend und durch eine grosse Wiese unterbrochen. Man kam von der Dorfstrasse her und unser Haus auf der rechten Seite war das letzte. Bald kamen Bagger und es gab riesige fantastische Erd-hügel, zum Leidwesen unserer Mütter. Heute geht dort die Zürcherstrasse durch. Ein kleiner Weg führte zur Feldstrasse dann ging es links die Schwandelstrasse hinunter. Beim Konsum mit angebauter Metzgerei (heute Piano Schoekle) überquerte man die Berg-strasse, hinunter bis zur Gotthardstrasse. Genau in dieser Ecke war das Paradiesli. Eine kleine Beiz, zu der ein paar Stufen hinunter führten, mit Grünzeug gegen die Strasse abgeschirmt. Dort sah man in viel, den Egolf, dessen Vornamen Albert aber niemand benützte. Er war einfach nur der Egolf. Ein lustiger Name. Für uns Kinder auch ein lustiger Mann. An sein Gesicht kann ich mich noch ungefähr erinnern. Irgendwie wirkte es zerknautscht. Wahrscheinlich weil er fast keine Zähne mehr hatte. Und an seine Nase. Auch sie passte sich in die Gesichtslandschaft ein wie ein Stück weicher Gummi. Mit der Zeit würde ihm ein Krebsgeschwür fast eine Hälfte wegfressen. Manchmal hatte er ein Pflaster darüber, manchmal nicht. Heute würde man sagen, der Mann hatte eine oder mehrere Behinderungen, damals war
er einfach einer, der nicht alles beieinanderhatte, in seinem Oberstübli, oder eben, ein Original. Und das war er wirklich. Seine Sprache war unverständlich. Dies war schon seit seiner Geburt so. Die Laute die er ausstiess hatten nichts mit unserer Sprache zu tun. Am ehesten konnten man an der Tonalität erahnen was er wollte. Viele Menschen schien das abzustossen und sie hatten Angst vor ihm. Wenn man ihn ärgerte oder foppte, dann waren seine Laute furchterregend. Dazu kam sein Gang, ein Taumeln das fast die ganze Breite des Trottoirs ausfüllte. Stets steckte ein Stumpen in seinem Mund und... jetzt kommt das Beste: Egolf war immer gut drauf. Wenn man ihn ansprach, erreichten seine Mundwinkel die Ohren, über denen ein fleckiges Béret thronte. Als Knirps erschien er mir als märchenhaftes Wesen. Ein Troll oder ein Gnom. Und im Gegensatz zu anderen Erwachsenen, flösste er mir nie Angst ein. Kaum erkannte ich ihn an seinem seltsamen Gang, rannte ich auf ihn zu, um ihn wahrscheinlich zu grüssen und irgend-etwas zu sagen, oder ihn einfach nuscheln zu hören. Egolf hatte immer Zeit und freute sich wahrscheinlich auch, mit einem so unvorein-genommenen Knirps zu reden, der in ihm einfach nur sah was er war, ein wunderbarer Mensch.
Text: Helmi Sigg